valladolid.españa

Die Menschen sind überall gleich, oder?

Über die Spanier, mich und
ein Jahr Praktikum

Die Menschen,

sie lieben, sie essen, sie lernen, sie sind neugierig, schwach, manchmal fühlen sie sich stark, sie tun so als ob..., sie wollen gebeten werden, sie haben Vorlieben, sie verabscheuen, sie haben Ansichten, sie lehnen ab...

Sie haben die gleichen Probleme, die gleichen Stärken und doch gibt es verschiedene Kulturen, und doch finden die Berliner die Bayern doof, die Leuten von den Dörfern vermeiden das Stadtleben.

Nichts scheint mir schwieriger, als den Unterschied in Worte zu fassen und zu generalisieren. Es ist so viel einfacher den Unterschied zwischen mir und Dir in Worte zu fassen, aber den Unterschied zwischen Spaniern und Deutschen?

Das Kindheitstrauma

Als Schüler war ich bereits ein Jahr lang in den USA es hat sehr lange gedauert, bis ich entgegen den Erwartungen meiner Eltern es gewagt habe offen auszusprechen, daß ich in diesem Jahr große Probleme hatte! Auf die oft gestellte Frage ob es mir gefallen hätte, hätte ich eigentlich mit "nein" antworten müssen!
Das lag damals an vielen verschiedenen Dingen, zum größten Teil aber mit Sicherheit daran, daß ein 16/17 Jähriger in den ländlichen USA, wo üblicherweise die Austausschüler hingelangen, ohne Fahrerlaubnis seines in der Pubertät befindlichen, sich vom elterlichen Schutz befreienden Soziallebens entrissen wird. Vor allem dann, wenn man es vorher gewohnt war morgens nach dem Diskobesuch seinen Eltern frische Brötchen mitzubringen. Trotzdem möchte ich die Erfahrungen dieses Jahres nicht missen!

Entsprechend genau habe ich über einen weiteren Auslandsauffenthalt nachgedacht, und es für wichtig erachtet, das gewisse Grundbedingungen erfüllt sind. Eine solchen Riss in meinem sozialen Gefüge wollte ich kein zweites mal erleben. Zum einen wollte ich nicht mehr an einen Ort gehen, an dem ich gänzlich entwurzelt bin, ohne eine einzige bekannte Person in der Nähe, daher bot es sich an nach Spanien zu gehen; ich hatte im Jahr vor Leonardo einige nette Spanier in Deutschland kennengelernt.

Ein Problem blieb:
Ich konnte kein Wort Spanisch!





in der Sprachschule

Es kamen mehrere Dinge zusammen, die es mir schließlich einfach gemacht haben mich für Valladolid zu entscheiden: ein Praktikumsplatz, der mir offen stand, einige Spanier und auch ein Deutscher, die mir versprachen, mir in der ersten Zeit in Valladolid zu helfen eine Wohnung zu finden, sowie die örtliche Universität, die einen Sprachkurs anbot. Schließlich war es auch mein Traum nach dem Studium mit meinem Motorrad der Sonne hinterherzufahren. Da ich gerne ausschlafe führte dieser Weg unweigerlich auf die Iberische Halbinsel!

Doch ich konnte noch kein Wort Spanisch!

Um so überraschender war es für mich festzustellen, wie einfach es ist Spanisch zu lernen. Anfangs besuchte ich einen täglichen Intensivkurs, und schon nach einem Monat konnte ich mich mit Spaniern einigermaßen verständigen, sofern sich diese ein wenig Zeit nahmen. Mir hat besonders die Ähnlichkeit des spanischen Vokabulars zu dem anderer Sprachen geholfen. Viele Wortstämme die im Spanischen Verwendung finden kannte ich bereits aus dem Englischen oder Französischen, wenn sie nicht sowieso schon im Deutschen gebräuchlich sind. Mit ein wenig Anstrengung auf gramatikalischer Seite kommt man schon bald zurecht und kann sich gut verständigen.

In diesen ersten Tagen lernte ich unglaublich viele Leute aus allen möglichen Ländern kennen. Ob über meinen Praktikumsplatz, den Sprachkurs, oder in den zahllosen Bars, die desnachts gemeinsam besucht wurden. Die Spanische Ausgehkultur eignet sich wirkich gut, um sich als Fremder sofort wohl zu fühlen. Allerdings kann man sich auch sehr getäuscht fühlen, denn so einfach wie man Menschen kennenlernt verliert man schon nach kurzer Zeit den Kontakt auch wieder. Ein ganz natürlicher Effekt, schließlich ist es unmöglich derart viele ernsthafte Freundschaften aufrecht zu erhalten.

Praktikum bei 3A

 





Simulation von komplizierten Lichtsituationen in Innenräumen

Über einen deutschen Freund kam ich also an den Praktikumsplatz, zuerst fiel es mit der Kommunikation noch sehr schwer, doch da war zum Glück Ralf noch da um zu übersetzen und von Zeit zu Zeit etwas zu erklären. Nach einem Monat war ich dann, was die Kommunikation im Büro anging auf mich allein gestellt. Es dauerte aber noch einige Monate, bis ich herausbekam, daß mehrere von meinen Arbeitskollegen Englisch konnten. Scheinbar scheuten sie den Umgang mit der fremden Sprache, auf Nachfrage hin hatten sie dann aber doch meißtens eine englische Übersetzung parat.

Anfangs mußte ich mich noch in die vor Ort üblichen der Computerprogramme Nemetschek Allplan FT und Cinema 4D einarbeiten, was viel Zeit in Anspruch nimmt, besonders dann, wenn das Nachfragen wegen der Sprachbarriere schwer fällt. Später konnte ich mich mehr auf den äusserst interessante Einblick in das spanische Berufsleben und die örtlichen Arbeitsstrukturen konzentrieren. In den neun Monaten habe ich einen viel tieferen Einblick in das Berufsleben bekommen, als durch die während des Studiums absolvierten Pflichtpraktika. Ich empfand meine Stellung im Büro schließlich fast als eine vollwertige Arbeitsstelle.

Ich habe an mehreren Projekten mitgearbeitet. Von kleinen, einfachen Fassadenvisualisierungen bis hin zu Siedlungen, die aus vielen, frei stehenden Gebäuden bestehen. Große Projekte bedurften einer ganz anderen inneren Organisation als die Kleinen, da sonst Hard- und Software überfordert wäre. Die Arbeit an einer besonders umfangreichen Siedlung hat sich über den größten Teil meines Praktikums erstreckt und war am Ende noch immer nicht gänzlich abgeschlossen. Jedoch ermöglichte mir dieses Projekt einen Überblick über alle Projektstadien zu bekommen. An allen Projekten arbeiteten jedoch immer auch andere Mitarbeiter des Büros.

Als erschreckend empfand ich die Bereitschaft der Mitarbeiter all die Monate, die ich dort war, quasi ohne Urlaub zu arbeiten. Und das obendrein als freie Mitarbeiter ohne soziale Sicherheiten. Ohne es genau zu wissen, glaube ich daß die Bezahlung dieser Situation keineswegs entsprach. Was sich in Deutschland aufgrund hoher Arbeitslosigkeit unter Akademikern zu entwickeln beginnt, kann man heute schon in Spanien beobachten: Arbeitsleistung und persöhnliche Aufopferung auf dem Niveau einer Führungskraft und das zu einem Praktikantengehalt.

Dementsprechend blieb in der straffen Arbeitsatmosphäre kaum Zeit für kreative Kommunikation und ein professionelles Interesse an mir und meinen vielleicht anderen Arbeitsweisen war sehr begrenzt, sodaß mir der Lernprozess an meiner Arbeitsstelle sehr unidirektional erschien.Ein wenig mehr Offenheit für Neues und eine stärkere Wahrnehmung des Ausbildungsauftrags durch die aufnehmende Einrichtung hätte ich mir gewünscht, und es hätten sicher beide Seiten davon profitiert.

Nichtsdestotrotz war mein Praktikum bei 3A in Spanien für mich ein voller Erfolg! Nicht, daß ich nur eine neue Sprache innerhalb von sechs Monaten fließend sprechen gelernt hätte und die Spanischen Kultur kennengelernt hätte, auch meine Arbeitstätigkeit hat mir Spaß bereitet und ich habe vieles gelernt, das für die zukünftige Arbeit des Architekten im Zeitalter der virtuellen Architektursimulation wichtig ist.


Innenraumvisualisierung

Also doch:

Wie unterschiedlich können zwei europäische Kulturen sein?


Alhambra


Computergeschäft in Granada


Feria de Malaga

Besonders auffällig empfand ich anfangs die starke Fixierung der Spanier auf Musik aus dem spanischsprachigen Kulturkreis. Während in Deutschland englischsprachige und internationale Musik die Jugendkultur bestimmt herrscht in Spanien eine sehr starke eigene Tradition vor. Besondes gefallen haben mir moderne Interpretationen spanischer Zigeunermusik die auch im Allgemeinen großen Erfolg zu haben scheinen.

Im Zeitalter der durch die Massenmedien geschürten Angst vor dem "bösen Nachbarn" ist die spanische Gastfreundschaft, Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit eine unerwartete Wohltat: zum Beispiel hatte ich ein hervorragebndes Verhältnis zu unseren Vermietern, die nebenan gewohnt haben, wir haben uns gegenseitig zum Essen eingeladen und viele lange Gespräche geführt.
In manchen Bars wurde ich zeitweise mit Namen begrüsst, was irgendwie ersteinmal peinlich erscheint, aber in Spanien nichts ungewöhnliches ist, zumal man hier mit Sicherheit nicht nur eine Stammkneipe hat. Einmal hatte ich eine Panne mit meinem Motorrad, doch bevor ich mich versah hielt auf der abgelegenen Bergstraße ein freundlicher Mensch und hatte das Problem schon mit ein paar Handgriffen behoben, als ich noch damit beschäftigt war herauszufinden, was überhaupt vorgefallen war.

Bemerkenswert ist auch die Fähigkeit der Spanier ihr Leben zu geniessen: unzählige Nächte haben wir gefeiert bis zum Frühstück, wenn die ersten Cafés öffnen, so gegen acht Uhr; ausgedehnte gemeinsame Essen, mit vielen sorgsam zubereiteten Kleinigkeiten, Gäste haben sehr häufig kleine Aufmerksamkeiten mitgebracht. Kleinigkeiten die das tägliche Leben lebenswert machen und die bei vielen Spaniern viel höhere Priorität geniessen als der sommerliche Urlaub auf Mallorca oder das neue Auto vor der Tür.
Demgegenüber steht das ständige Leiden der Spanier unter dem Druck der Arbeit, den Erwartungen der Familie etc., daß im Zusammenhang, jedoch erstaunlicherweise nicht im Gegensatz zu deren Lebensfreude steht! Dies zu beobachten hat mir lange ein schier unlösbares Rätsel aufgegeben. Schließlich ist das wohl einer der kleinen kulturellen Unterschiede, die es zu bemerken, beobachten und akzeptieren gilt. Letzteres ist besonders schwer, wenn einem die Personen sehr nahe stehen!

Am schwierigsten schien es mir, die Spanische Art zu Kommunizieren zu verinnerlichen: es wird wahnsinnig viel geredet, über alles Mögliche. Selten ist etwas verbindlich, was anfangs sehr irritierend ist, und ein Jahr reichte bei mir nicht, mich auf diese Art der Kommunikation umzustellen. Nichtsdestotrotz ist es beeindruckend, und ich habe es auf abstrakter Ebene sehr genossen - im konkreten Einzelfall hat es mir aber viele Probleme bereitet damit zurecht zu kommen.

Genossen habe ich auch die Spanische Küche, die viele Überraschungen bereit hält und eigentlich immer mit viel Liebe zubereitet wird. Die Kultur der Tapas ist etwas wunderbares, das ich in Deutschland sehr vermissen werde!
Auffällig schien mir eine stärkere Vebundenheit der Spanier zu ihrem Essen. Sie verspeisen das Tier und sind sich dessen bewußt. Niemand wundert sich über Schweineköpfe oder Ohren beim Fleischer. Diese "Delikatessen" werden genauso angeboten wie Filets und Kotletts. Eine gesunde Geisteshaltung. Natürlich gibt es auch "Du darfst..." Habfettmargarine - ein Segen, den das zusammenwachsende Europa eingeschleppt hat?

Aus dem vergangenen Jahr nehme ich neben meinen spanischen Erfahrungen auch die vielen internationalen Kontakte mit, die sich durch die Sprachschule ergeben haben: in die USA, nach Taiwan, Italien, Frankreich und Portugal. Sie lösen eine Kettenraktion der Toleranz und des Verständnisses unter den Kulturen aus! Man wird sich besuchen und kulturell weiterbilden. Leonardo war nur der Anfang!


als Rentner verkleidete Kinder in Cordoba
Die Spanier, die ich kennengelernt habe, haben viele verschiedene Eindrücke hinterlassen. Ob die Summe dieser Eindrücke als brauchbares Abbild des"Spaniers an sich" herhalten kann bezweifle ich. Aber wer wissen will, wie die Spanier sind, den kann ich sowieso nur nach Spanien schicken, dort kann man sie ganz einfach kennenlernen. Für mich sind sie alle anders, und das Stereotyp ist doch allenfalls geeiget zu provozieren.