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Die Jurte kann als die "klassische" Bauform der Nomaden und Halbnomaden Zentralasiens bezeichnet werden. Wie das Tipi der nomadisierenden Indianer in den nordamerikanischen Great Plains wird die Jurte ebenfalls im allgemeinen Sprachgebrauch als "Zelt" bezeichnet, was jedoch auch in diesem Fall nur als ethnologischer Begriff, nicht aber als bautechnisch-konstruktiver Terminus zutrifft (vgl. Kap. "Tipi"). Das Verbreitungsgebiet der Jurten sind die zentralasiatischen Hochebenen und Grassteppen vom Kaspischen Meer bis zur Mongolei, die von extremen Temperaturunterschieden des kontinentalen Klimas geprägt werden. Obwohl in diesem weitläufigen Gebiet unterschiedliche Ethnien leben - Kirgisen, Kasachen, Turkmenen, Usbeken, Mongolen - bietet der Bautyp der Jurte ein erstaunlich einheitliches Erscheinungsbild und zeigt nur geringfügige Varianten. Die Lebensweise der Steppenbewohner wird von den jahreszeitlich stark wechselnden klimatischen Bedingungen bestimmt. Im Winter zwingen starke Winde und extreme Kälte zum Aufenthalt in witterungsgeschützten festen Lagern. Einzelne Clans lassen sich hier in genau festgelegten markierten Bereichen nieder, die mit Lehmmauern, Erdwällen oder Bretterzäunen abgegrenzt werden; innerhalb dieser Umfassungen stellt man Jurten auf oder errichtet feste, halb in den Boden eingetiefte Bauten für Menschen und Tiere. Wenn im Frühjahr die Regenfälle einsetzen, zieht man mit allem beweglichen Gut und den Tieren in die Weidegebiete und baut dort für mehrere Monate seine Jurte auf. Die Trockenheit des Sommers und der damit verbundene Mangel an Futtergras zwingt danach zu einem häufigerem Standortwechsel. Die Behausungen müssen mehrmals abgebaut, transportiert und wieder aufgebaut werden. Wenn im Herbst stärkere Regenfälle einsetzen, verbleibt man wiederum längere Zeit am selben Ort, bis man zu Winterbeginn wieder die festen Lager bezieht.
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Die stark wechselnde Lebensweise von langfristigen und kurzfristigen Aufenthalten stellt spezifische Anforderungen an die Bauweise der Behausungen. Das Bauwerk muß einerseits befriedigende Wohnqualitäten während längerer Aufenthalte bieten, andererseits aber auch der zeitweilig stärkeren Mobilität seiner Bewohner angepaßt sein. Dabei spielt die Transportfähigkeit der Bauwerke naturgemäß eine wichtige Rolle. Im Vergleich zu den Indianern Nordamerikas galten für die Steppenbewohner Zentralasiens allerdings von jeher wesentlich günstigere Voraussetzungen, da größere und stärkere Tragtiere zur Verfügung standen, wie Rinder, Pferde und Kamele. Dadurch war auch ein Transport mit Karren möglich, die das Mitführen voluminöser Gegenstände erlaubten. Die ausgeprägte Klassengesellschaft in Zentralasien bedingte allerdings sehr ungleiche Besitzverhältnisse und damit ungleiche Verfügbarkeit über Trag- und Zugtiere. Daher unterschieden sich die Jurten der Oberschicht von Jurten der Unterschicht; diese Unterschiede betrafen jedoch lediglich Größe und Ausstattung der Bauten, wirkten sich jedoch nicht auf die Art der Konstruktion aus. Die Bauform von Jurten scheint sich über viele Jahrhunderte hinweg kaum verändert zu haben. Noch heute werden die Bauwerke in der gleichen Art und Weise errichtet, wie sie der flämische Franziskanermönch Wilhelm von Rubruk beschrieb, der 1253 - 1255 eine Reise zum Hof des Mongolenfürsten in Karakorum unternommen hatte: "Die Jurte, in der sie schlafen, errichten sie auf einer kreisförmigen Scheibe[?] aus Rutenflechtwerk. Das Quergestänge besteht ebenfalls aus Ruten, die nach oben in eine ganz kleine Rundscheibe zusammenlaufen, und von dieser erhebt sich schornsteingleich ein halsförmiger Aufsatz. Dieses (Holzgerüst) bekleiden sie mit weißem Filz, den sie öfters auch mit Kalk oder weißer Erde und Knochenmehl tränken, damit er weißer glänzt".
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Die über lange Zeiträume unveränderte Bauform der Jurte erklärt sich durch die optimale Anpassung des Bautyps an die regionalen Bedingungen; es war ein Bautyp, der nicht weiter verbessert werden konnte. Ausgeklügelte Systeme gewährleisten raschen Auf- und Abbau, sowie gute Transportabilität der Struktur; das Raumklima ist angenehm wegen des relativ großen Innenraums, der die Belästigung durch Rauch minimiert, sowie durch die beinahe hemisphärische Form der Jurte, die ein günstiges Verhältnis zwischen Volumen und Oberfläche bewirkt; und die vertikal stehende Wandzone erlaubt eine wesentlich günstigere Nutzung des Innenraums als bei vergleichbaren Bauten anderer Architekturtraditionen. Diese Vorteile erfordern allerdings aufwendigere konstruktive Maßnahmen. Aber auch dieser Mehraufwand konnte im Bautyp der Jurte optimiert werden. |
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Ein spezifisches Charakteristikum der Jurte ist die Art der Präfabrikation verschiedener Konstruktionsteile ihres Skeletts, die als vorgefertigte, teilweise zusammenklappbare Elemente transportiert werden: eine Maßnahme, die den Auf- und Abbau wesentlich beschleunigt. Im Vergleich mit dem Tipi etwa, dessen Skelett aus Einzelstangen besteht, die immer wieder neu zusammengebunden werden müssen, zeigt sich hierin ein deutlich höheres Entwicklungsstadium des Bautyps Jurte. Das Wandskelett der Jurte wird als Gitterkonstruktion ausgeführt, resultierend aus der Notwendigkeit, die Wandzone als steife Schale auszubilden, da sie den Seitenschub der kuppelförmigen Dachzone aufnehmen muß (beim Tipi werden die Kräfte direkt über die Sparren-Stangen in den Boden abgeleitet). Um den Arbeits- und Zeitaufwand beim Auf- und Abbau zu minimieren, fertigt man die Teile der Gitterwand als zusammenklappbare Scherengitter vor, indem die Gitterkreuzugen als Gelenke mit verknoteten Lederbändern ausgebildet werden. Diese Gitterelemente weisen dadurch jene Elastizität auf, die nötig ist, um bei der Aufstellung im Grundrißkreis gebogen zu werden; im zusammengeklappten Zustand ebenflächig und schmal, nehmen sie beim Transport nur geringen Platz in Anspruch. Im Allgemeinen werden für die Wandzone 4 - 6 solcher Gitterelemente benötigt, die man aneinander bindet. Einen Teil läßt man dabei für die Türöffnung frei, in die man in früheren Zeiten einen Filzvorhang hängte, die heute aber oft mit einer Holztür verschlossen wird. |
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Die Skelettkonstruktion der Dachzone besteht aus gebogene Stangen, die man in den Ring des Dachaufsatzes einklemmt oder in vorgefertigte Löcher einhängt. Manchmal werden auch größere zusammenhängende Dachteile präfabriziert, indem man die Sparren mit Lederschlaufen an den zentralen Druckring bindet. Für den Transport werden sie zusammengeschoben, beim Aufbau aufgefächert. Den oberen Abschluß der Dachzone bildet das als gesamtes Element vorgefertigte "Deckrad": An einem Druckring sind als Kreuzbündel gebogende Radialstangen befestigt, welche die Form einer Kugelkalotte bilden. Der Druckring ermöglicht einen konstruktiv sauberen Anschluß der Radialstangen, die hier geordnet angefügt können, anstatt in einem wilden Bündel wie beim Tipi zusammenzutreffen. In funktionaler Hinsicht gestattet der Druckring die Anordnung einer Rauchabzugsöffnung im Zentrum, also genau über der Feuerstelle und gestattet damit die perfekt zentralsymmetrische Anlage des Bauwerks. |
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Während die Scherengitterwände der Wandzone durch das Aufstellen in Kreisform elastisch verformt werden und durch diese Krümmung ihre Steifigkeit gewinnen, sind die Bogenelemente der Dachzone starre Elemente, vorgeformt durch Biegen unter Hitzeeinwirkung. Damit reduzieren sich die seitlichen Schubkräfte am Fußkreis der Dachkuppel, also jener Zone, welche die höchste statische Gefährdung des Bauwerks birgt. Die gesamte Konstruktion der Jurte läßt einen klar durchdachten statischen Aufbau erkennen. Wand- und Dachzone werden als unterschiedliche konstruktive Systeme ausgebildet, indem die Wand eine Diagonalversteifung aufweist, während das Dach sich radial aussteift. Durch die Verbindung von Wand und Dach rundum an allen Gitterpunkten erhält das Skelett eine zusätzliche Schalenwirkung, die durch übergreifend diagonal gespannte Gurte und einen horizontalen Spanngurt an der Verbindung von Wand- und Dachzone verstärkt wird. Ihre endgültige Aussteifung erhält die Jurte schließlich durch die Deckung. Schwere Bahnen aus Filz, deren Gesamtgewicht 200 kg betragen können, werden über das Skelett gespannt, wobei man während der kältesten Witterungsperioden oft mehrere Schichten übereinander legt. Die Deckung kann bei warmem Wetter im unteren Bereich aufgewickelt werden, um eine stärkere Luftzirkulation im Inneren zu ermöglichen. |
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Über ihre Funktion als Wohn- und Schlafplatz weit hinausgehend, besitzt die Jurte hohe symbolische Qualitäten durch der Einbindung in kosmische Vorstellungen, der Einbindung in Natur und Leben. Die Idee des Zentralraums als Wohnstätte der Familie wird zum Symbol des Zentrums im kosmischen Raum; um die Feuerstelle als Zentrum des Innenraums bewegt man sich im Uhrzeigersinn kreisend, symbolisch den Kreislauf aller Dinge nachvollziehend. Die sterile Auffassung eines "perfekten" Zentralraums, in dem alle Bereich rundum gleiche Wertigkeiten besitzen, ist in der Jurte allerdings nicht verwirklicht, da sie auch nicht kosmischen Gesetzmäßigkeiten entspräche, wie dem Sonnenlauf mit seinen unterschiedlichen Wertigkeiten von Morgen-Mittag-Abend-Nacht, oder dem Lauf des Lebens mit den Phasen Geburt-Jugend-Alter-Tod. Die Hauptachse des Zentralraums, gebildet durch den Eingang, spielt eine wichtige Rolle in der Symbolik des Bauwerks und schafft unterschiedliche Wertigkeiten innerhalb des Raumes. Für die hierarchische Ordnung innerhalb der Jurte sind verschiedene Aspekte maßgeblich: Zusammenfassend betrachtet, zeigen Jurten in ihrer baulichen Ausbildung die wesentlichsten Merkmale von Nomadenkulturen in besonders charakteristischer Art und Weise: Ein weiteres Charakteristikum von Bauten nomadischer Kulturen ist ebenfalls in der Jurte deutlich ausgeprägt: Das Skelett besitzt keine feste Verbindung mit dem Untergrund. Die einzige Fixverbindung mit dem Boden geschieht über Sekundärelemente, nämlich Pflöcke, mit denen die Seilabspannungen im Boden verankert werden. |